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Doktor Ronald Siems (li.) und Professor Sebastian Hinz, beide kahlköpfig und mit schwarzen Brillen, stehen im weißen Kittel im verglasten Flur des Krankenhauses. FOTO: DOMUSIMAGES

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Die Entscheidung – Organspende

200 Menschen aus MV brauchen ein neues Organ, um weiterleben zu können. Doch die Warteliste der Empfänger ist lang.

Jeden Tag sterben Menschen. Bei Unfällen, sie erliegen Hirnblutungen oder Schlaganfällen. Ihre Organe, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nieren und Lunge, könnten Schwerkranken das Leben retten. In Umfragen sagen acht von zehn
Menschen, dass sie dem Thema Organspende positiv gegenüberstehen. Trotzdem kommt es am Ende nur selten dazu. »Die Organspendenbereitschaft der Menschen in Deutschland ist im Europavergleich sehr niedrig«, sagt Doktor Ronald Siems, Transplantationsbeauftragter der Universitätsmedizin Rostock.

Der Ablauf einer Organspende ist komplex, um sicherzustellen, dass es bei der Verteilung gerecht und neutral zugeht. Siems ist einer von vielen Beteiligten, und er hat den wohl heikelsten Part. Wenn ein Mensch für hirntot erklärt wird, muss der Oberarzt gemeinsam mit den Hinterbliebenen eine Antwort auf die Frage finden: Steht der Verstorbene, der vielleicht vor wenigen Stunden noch mitten im Leben stand und dessen Tod sie gerade betrauern, für eine Organspende zur Verfügung? Hätte er sie gewollt? Die Sache liegt klar, wenn der Verstorbene seinen Willen fixiert hat, in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung. »Leider gibt es ein schriftliches Einverständnis bei den wenigsten.« Bei allen anderen müssen die Angehörigen entscheiden, wie der Verstorbene es gewünscht hätte. Meistens ist es nur so, sagt Ronald Siems, dass sie nicht wissen, wie der Verblichene dazu stand – weil das Thema in der Familie nie besprochen wurde. »Wie groß die Last der Entscheidung am Ende für die Angehörigen ist, habe ich oft erlebt.«

Nur 44 chirurgische Kliniken in Deutschland dürfen Transplantationen durchführen
Professor Sebastian Hinz ist der Leiter des Rostocker Transplantationszentrums. Er setzt seinen Patienten nicht nur Leber, Niere und Bauspeicheldrüse von Spendern ein, sondern ist auch qualifiziert für die Explantation, also die Entnahme von Organen. Nur 44 chirurgische Kliniken in Deutschland dürfen Transplantationen durchführen. Die
Rostocker Unimedizin ist in MV die einzige. Der Status stand im vergangenen Jahr auf der Kippe, weil Rostock die vorgeschriebene Fallzahl von 20 Lebertransplantationen verfehlt hat. »Wir sind ein Flächenland und nicht mit bevölkerungsreichen Bundesländern vergleichbar. Aber es wäre für unsere Patienten verheerend, wenn sie nur
noch in Berlin oder Lübeck versorgt werden könnten.« Hinz ist erleichtert, dass eine Schließung vorerst vom Tisch ist.

»Wie groß die Last der Entscheidung am Ende für die Angehörigen ist, habe ich oft erlebt.«

Doktor Ronald Siems, Transplantationsbeauftragter der Universitätsmedizin Rostock

Eine Organspende ist komplex
Ein fiktives Fallbeispiel: Ein Rostocker, männlich und 60 Jahre alt, liegt nach einer Hirnblutung auf der Intensivstation. Er wird beatmet, die Pupillen reagieren nicht mehr auf Licht, der Schluckreflex ist ausgefallen. Ein Neurologe und ein Intensivmediziner kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis: Der Hirntod ist eingetreten. Der Transplantationsbeauftragte Siems wird ins Boot geholt.
In diesem Fall geht es fix, der Patient hatte einen Organspendeausweis bei sich und die Angehörigen stimmen zu. Ronald Siems meldet einen möglichen Organspender in Rostock an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Ein Koordinator der Stiftung kommt in die Schillingallee und übernimmt alles weitere. Er kontrolliert, ob Abläufe eingehalten wurden, veranlasst die nötigen Untersuchungen des Spenders und seiner Organe – und meldet am Ende an Eurotransplant, welche Organe zur Verfügung stehen. Der Verbund acht europäischer Staaten organisiert deren Zuteilung. In einer digitalen Datenbank sind alle Patienten verzeichnet, die auf ein Spenderorgan warten. Es wird abgeglichen: Wer passt am besten? Das Alter spielt keine große Rolle, nur die Funktionsfähigkeit
des Organs. Neben Blutwerten und Dringlichkeit ist auch die Entfernung relevant, denn entnommene Organe überstehen nur wenige Stunden unbeschadet. Sagen wir, ein Patient in Hannover soll das Herz des verstorbenen Rostockers bekommen. Seine Klinik bereitet die Transplantation vor, während das Organ in Rostock entnommen wird. Weil es ums Herz geht, ist die Sache noch komplizierter. »Herz und Lunge werden immer von Ärzten aus dem Transplantationszentrum des Empfängers entnommen und auf schnellstem Weg zum Patienten geflogen«, sagt Sebastian Hinz.

8.260 Patienten warten in Deutschland auf ein Spenderorgan
Etwa 700 Menschen auf der Warteliste sind im vergangenen Jahr gestorben. Demgegenüber: Nur 15 Prozent der Deutschen haben einen Organspendeausweis. Das kann ganz schön frustrierend sein für Ärzte, die Leben retten
wollen. Die aufgeschobene Bundestagsentscheidung über die Widerspruchslösung könnte etwas ändern. Sie soll per Gesetz festlegen, dass alle Bürger automatisch zu Organspendern werden – wenn sie oder nahestehende Angehörige nicht ausdrücklich widersprechen. So ist es in vielen anderen Ländern. Immerhin gibt es seit März 2024
ein digitales Organ-Spenderegister. Aber: Nicht mal 200.000 Bürgerinnen und Bürger, das sind etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung, haben ihren Willen hier bekundet.
Doch warum erklären sich so wenige Menschen bereit, nach ihrem Tod Organe zu spenden? »Der Tod hat in unserer Gesellschaft wenig Platz und die Menschen setzen sich zu Lebzeiten nur ungern mit der eigenen Sterblichkeit auseinander«, sagt Ronald Siems. Er legt jedem ans Herz, rechtzeitig eine Entscheidung zu treffen. Egal wie sie ausfällt – damit wäre vielen Menschen geholfen.

Titelfoto: DOMUSIMAGES

Zahlen und Fakten

953 postmortale Organspender hat die DSO 2024 verzeichnet. Ihnen wurden 2.854 Organe entnommen.

MV ist bei den Organspenden weit vorn: 2023 gab es im Bundesland 17,8 Spender auf eine Million Einwohner, im Bundesschnitt sind es nur 11,4. Aber: In Spanien sind es 46,3.

81 Organe wurden 2023 in MV entnommen, von 26 Organspendern. Das waren vor allem Nieren, gefolgt von Leber, Herz, Lunge und Bauchspeicheldrüse.

Ab dem 16. Lebensjahr darf man sich für oder gegen eine Organspende entscheiden.

Gut zu wissen

Für eine Organspende kommen nur Patienten infrage, deren Gehirn unumkehrbar vor allen anderen Organen versagt. Das ist gerade mal bei ein bis zwei Prozent der Sterbefälle im Krankenhaus der Fall.

Bis zu sieben Menschen können dank der Organe eines toten Spenders überleben. Sind alle Organe gesund, können die Transplantationsmediziner Herz, Leber, beide Nieren, die Lunge, Bauchspeicheldrüse und den Dünndarm verpflanzen.

Bestimmte Infektionen oder akute Krebserkrankungen schließen eine Organspende aus. Eine Untersuchung zu Lebzeiten ist nicht nötig, es zählt der Zustand kurz vor der Entnahme.

Im Todesfall können nicht nur Organe, sondern auch Gewebe gespendet werden: Haut, Hornhaut der Augen, Herzklappen, Teile der Blutgefäße, des Knochen- und Knorpelgewebe, Sehnen.

Organspendeausweise

gibt es in vielen Arztpraxen, Apotheken oder bei Krankenkassen. Im digitalen Organspende-Register kann man seine Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende online eintragen. Der Eintrag kann jederzeit geändert oder gelöscht werden.

Infos unter:

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