WIRO.de
Logo Wiro Aktuell
Auf einem Tisch liegen mehrere historische Aufnahmen von der Geschichte des WIRO-Hochhauses Am Vögenteich.

Wohnen + Leben

Ein Hochhaus mit Geschichte

Am Vögenteich. Nur wenige Rostocker wissen noch, dass es hier bis vor 55 Jahren ganz anders aussah. Erstmieter Peter Riebe erinnert sich.

Peter Riebe, 87-jährig, im blau-weißen Shirt, blättert im Fotoalbum. Als Erstmieter des WIRO-Hochhauses Am Vögenteich kommen ihm dabei viele Erinnerungen.
Peter Riebe blättert gern in seinen Fotoalben. Titelfoto + Foto: M. Rövensthal

Peter Riebe zieht ein altes Schwarz-Weiß-Foto aus seinem Notizbüchlein. Darauf zwei Tennisplätze mit winzigen Menschen, die Bälle übers Netz schlagen. Der 87-Jährige tippt auf das Bild und
sagt augenzwinkernd: »Genau an dieser Stelle befinden wir uns
gerade.« Nur 100 Jahre später und ungefähr 50 Meter höher. Er sitzt
auf seiner Wohnzimmercouch in der zwölften Etage. Peter Riebe erinnert sich noch gut, wie es aussah, bevor der kolossale WIRO-Block und die mehrspurige Kreuzung gebaut wurden. »Ich bin in der
Altstadt aufgewachsen und für uns Kinder war die Fläche zwischen
Vögenteichplatz und Kanonsberg noch ein großer Abenteuerspielplatz.«
Sein Nachbar Klaus Lauer, 80 Jahre alt, hat früher mit seiner Frau, den drei Kindern und seiner Schwiegermutter in der Helenenstraße
gewohnt. Die gibt es heute nicht mehr. Aus ihrem Fenster konnten
die Lauers Ende der 60er-Jahre zugucken, wie vis-a-vis der sozialistische Prestige-Plattenbau wuchs. Für sie besonders aufregend, denn das Hochhaus war ihr künftiges Zuhause. Im Herbst 1970 zogen sie um. Vier Zimmer, Heizung und Warmwasser, Fahrstuhl, Badewanne und Einbauküche in der Hausnummer 18. Für 124 DDR-Mark im Monat. Die Helenenstraße wurde gesprengt, dafür die vierspurige Straße gebaut.

Peter Riebe, mit Frau und Sohn, hat seine 2-Raum-Wohnung vor 55 Jahren über einen Ringtausch ergattert. Oberste Etage, das Wohnzimmerfenster gen Westen, raus zum Lindenpark. Das war das i-Tüpfelchen. »Mit unserer selbst gebauten Zimmerantenne und Verstärker konnten wir 1A-Westfernsehen empfangen.«
Klaus Lauer und seine Frau sind vor 28 Jahren, als die Kinder aus dem Haus waren, nochmal umgezogen, einen Aufgang weiter, in eine kleinere Wohnung. Seitdem leben sie Tür an Tür mit Peter Riebe. »Wir denken nicht ans Ausziehen«, sagen die Nachbarn. Wegen des grandiosen Blickes über die Stadt, der zentralen Lage. »Ich habe alle Ärzte in der Nähe, muss nicht mit Bus und Bahn fahren«, erklärt Peter Riebe. Der Witwer ist auf Rollator und Rollstuhl angewiesen. Betrüblich findet er nur, dass so viele vertraute Nachbarn nicht mehr da sind. »Früher kannten
wir uns alle, haben zusammen Tischtennis auf dem Flur gespielt. Heute ist das anders.« Manche von den neuen Mitbewohnern hat er noch nie gesehen. Überhaupt ist ganz schön viel Bewegung in dem großen Haus. »Bei 200 Mietparteien unter einem Dach treffen auch unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander«, sagt der ehemalige Hotel-Wirtschaftsleiter. »Manchen ist es leider egal, wie es vor ihrer Wohnungstür aussieht.« Er ist froh, dass Klaus Lauer mit viel Herzblut und Elan für Ordnung sorgt. »Unseren ehrenamtlichen Hausmeister« nennt er ihn liebevoll.
Wenn die anderen im Haus noch tief und fest schlafen, ist der Kapitän a.D. schon auf den Beinen. Er sammelt rund ums Haus Unrat und Glasscherben ein, kontrolliert den Fahrstuhl und den Briefkastenraum. Klaus Lauer erzählt kopfschüttelnd, dass einige Bewohner ihre ollen Möbel einfach auf den Rasenflächen vorm Haus entsorgen. Den
schafft er dann auf den festen Sperrmüllplatz neben der Straße. Im Winter hilft er beim Schneeschippen. »Viele können sich gar nicht vorstellen, dass ich für meine Arbeit kein Geld bekomme«, erzählt er lachend. Sein Antrieb ist ein anderer: »Ich will es einfach schön haben, wenn ich vor die Tür gehe.«

Ausblick vom WIRO-Hochhaus Am Vögenteich auf Häuser und viel Grün.
»Wir denken nicht ans Ausziehen.« Wegen des grandiosen Blickes über die Stadt, der zentralen Lage. Foto: M. Rövensthal

Geschichte

Die DDR hatte hochfliegende Pläne für den Vögenteich – damals noch Wilhelm-Pieck-Ring – und seine Verlängerung bis an die Warnow: Neben mehreren Hochhäusern sollte das 30-stöckige
Haus der Wissenschaften, Bildung und Kultur in Form eines riesigen Segels die neue Nord-Süd-Tangente krönen. Auch ein neues Theater am Wall war geplant, mit knapp 1.500 Zuschauerplätzen und einer Freibühne. Eine Autobrücke sollte die Innenstadt mit Gehlsdorf verbinden, erste Pfähle waren sogar schon gerammt. Die Hochhausgruppe Am Vögenteich war gerade fertig, da wurden alle weiteren Pläne gestoppt. Die Ressourcen wurden in die Rostocker Neubaugebiete mit Zehntausenden Wohnungen gesteckt.

Pläne und Modell aus dem Jahre 1970 für den Bereich Am Vögenteich bis Wall.
Modell vom neuen Stadtzentrum von 1970. Historische Fotos: Sammlung Denkmalpflege

Das Hochhaus Am Vögenteich zu DDR-Zeiten, geschmückt mit Fahnen.
Vor dem Hochhaus Am Vögenteich fährt ein gelber DDR-Bus, geschmückt wie das Haus selbst, mit DDR-Fahnen. Am Haus gibt es ein Cafe und eine Bierstube.
Hochhaus anno dazumal. Fotos: Sammlung Denkmalpflege
Link kopieren
Drucken
Grafik - empfangene E-Mail, Hand hält ein Mobiltelefon mit einem Icon, dass eingegangene E-Mails anzeigt

WIRO aktuell Newsletter

Neues aus der Stadt, Geschichten aus der Nachbarschaft + Tipps zu Veranstaltungen, Terminen und Freizeit in Rostock. Der WIRO-Newsletter bringt Ihnen alle vier Wochen das Beste aus unserer Heimatstadt kostenlos nach Hause.

Jetzt abonnieren!