Kriminalhauptmeisterin Anke Symnazik FOTOS: MATHIAS RÖVENSTAHL Was hindert Betroffene aus Ihrer Erfahrung daran, aus gewalttätigen Beziehungen auszubrechen? »Täter sind nicht andauernd gewalttätig. Anfangs sind sie oft besonders aufmerksam und charmant. Gewalt und Kontrollwahn schleichen sich erst mit der Zeit ein. Nach einem Ausbruch zeigen sie Reue, entschuldigen sich und machen Geschenke – bis die Stimmung wieder dreht. Wir sprechen von einer Gewaltspirale, weil die Abstände zwischen den Eskalationen kürzer und die Ausbrüche schlimmer werden. Trotzdem hoffen Betroffene lange, dass sich der Partner ändert. Oder sie suchen gar die Schuld bei sich, weil der Täter ihnen einredet, dass sie verantwortlich sind. Mit Vorwürfen wie: ›Hättest Du mich nicht so eifersüchtig gemacht, wäre ich nicht ausgerastet.‹ Da ist oft auch Angst vor den Konsequenzen. Eine Mutter will vielleicht für ihre Kinder um jeden Preis die Familie erhalten und das Heile-WeltBild nach außen nicht zerstören.« Was raten Sie Betroffenen, die sich nicht zur Anzeige gegen ihren Peiniger durchringen können? »Es braucht Zeit und oft mehrere Anläufe. Da nützt kein Druck von außen. Manche Betroffene wollen gar keine Anzeige erstatten. Es gibt auch Hilfs- und Beratungsangebote, wo die Polizei außen vor bleibt. Ich empfehle in Durchschnittlich zwei Mal am Tag rückt die Rostocker Polizei wegen häuslicher Gewalt aus. Viele Fälle landen bei Kriminalhauptmeisterin Anke Symanzik. Sie hört Betroffenen zu, sammelt Beweise, vernimmt Täter. Und sie weiß, dass häusliche Gewalt mehr ist als handgreifliche Ehemänner und blaue Flecken. Die Hölle zu Hause Wo beginnt häusliche Gewalt? »Gewalt in Familien hat viele Gesichter, das sind nicht nur Schläge und Schubsen. Den Partner oder die Partnerin mit Beleidigungen und Abwertungen kleinzumachen, ist eine Form der psychischen Gewalt – ohne äußere Verletzungen. Sexuelle Gewalt ist ein Thema. Andere üben finanzielle Gewalt aus, indem sie dem Partner beispielsweise den Geldhahn zudrehen und ihn in eine finanzielle Abhängigkeit bringen.« Wir denken beim Thema an Männer, die ihren Frauen Gewalt antun. Ist das die Regel? »Drei von vier Beschuldigten sind Männer. Trotzdem gibt es alle denkbaren Konstellationen. Auch Frauen misshandeln Männer. Sie üben eher verbale Gewalt aus, die ist nur schwer nachzuweisen. Eltern tun Kindern Gewalt an. Erwachsene Kinder werden ihren Eltern gegenüber handgreiflich. Auch das erleben wir immer öfter: Wenn ein Partner oder Elternteil dement ist und pflegebedürftig, kommt Gewalt ins Spiel – auch aus Überforderung.« Wie oft passiert Gewalt in Rostocks Familien? »Im vergangenen Jahr haben wir bei der Polizeiinspektion Rostock 669 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt erfasst. 2023 waren es sogar 723 Fälle. Aber das ist nur die Spitze des Eisberges, wir vermuten eine sehr hohe Dunkelziffer. Viele Betroffene suchen keine Hilfe, schämen sich. Über erlebte Gewalt zu sprechen, ist schwer. Häufig isolieren Täter ihre Opfer von Freunden und Verwandten, so dass sie keine Unterstützung im Umfeld finden und niemandem auffällt, was los ist.« Hilfezeichen Hand heben und die Finger mit umschlossenem Daumen zur Faust ballen. WIRO mittendrin 8
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